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Der Gärtner im Pfarrhaus

07.05.2018 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Der Gärtner im Pfarrhaus

Die Namen und Lebensdaten seiner Verwandten hat er auswendig im Kopf, die seines eigenen Lebens sowieso. Und auch den liturgischen Jahreskalender. Zwei Tage vor dem ersten Sonntag der Passionszeit treffen wir uns zum Gespräch: „Der nächste Sonntag ist Invocavit“, klärt mich Hans Auernhammer auf. Über 2500 Mal dürfte er den Sonntag in der Lazaruskirche der NRD in Mühltal schon mitgefeiert haben. Denn er lebt seit 50 Jahren hier.    

Mitarbeitende in Nieder-Ramstadt kennen ihn auf jeden Fall vom Sehen. Denn Hans Auernhammer, 88, ist jeden Tag unterwegs. Mit seinem Stock verlässt er mehrmals am Tag das Haus Wichernstraße 3, wo er seit langem lebt, geht im Quartier spazieren oder im Ort etwas einkaufen, sitzt am Löhehaus auf der Bank in der Sonne und geht pünktlich um 12 Uhr zum Mittagessen in die Cafeteria. Wer ihn anspricht, stellt fest, dass  Hans Auernhammer sich gerne unterhält. Er spricht mit hoher Stimme und sehr schnell, so dass nur vertraute Menschen ihn  richtig gut verstehen. Ein Vertrauter ist Axel Seib, Teamleiter in der Wichernstraße 3. Er sitzt beim Gespräch mit Hans Auernhamer mit am Tisch und unterstützt ihn anhand von Stichworten  dabei, aus seinem Leben zu erzählen.

Hans Auernhamer stammt aus Hanau, wo seine Eltern eine Metzgerei führten. Bei einem der Bombenangriffe auf die Innenstadt wurde im Zweiten Weltkrieg auch das Haus der Auernhammers  getroffen, bis heute fürchtet sich Hans Auernhammer deshalb vor Blitz. Beide Eltern starben früh, vier Jahre nach Kriegsende sein Vater Leonhard, 1965 seine Mutter Susanne – einen Tag vor dem 35. Geburtstag ihres Sohnes Hans. Dieser arbeitete damals inzwischen schon lange „beim Draht-Günther“, einer Fabrik in Hanau, die Maschendraht herstellte. Drei Jahre später beschlossen seine beiden Geschwister, dass Hans  in die „Nieder-Ramstädter Heime“ umziehen solle.

„Am 25. Oktober 1968 war mein letzter Arbeitstag beim Draht-Günther, am Montag, 28. Oktober, bin ich in die Heime“, erzählt er. Am Sonntag darauf wurde er als neues Mitglied in die Lazarusgemeinde  aufgenommen und hat seither wohl keinen Gottesdienst dort versäumt. Auernhammer kennt natürlich auch die  Kirchenlieder, die jeder Woche im liturgischen Jahreskreis zugeordnet sind. Und er lässt es sich nicht nehmen, die Pfarrerin  Claudia Allmann darauf hinzuweisen, wenn das entsprechende Lied sonntags nicht angezeigt ist.

Bis 1972 wohnte er in einem 4-Bett-Zimmer im Haus Magdala – „auf der Station 3 - im Zimmer 5“. Dann zog er um auf die  Gruppe 7 im Haus Bodelschwigh, auch hier in ein 4-Bett-Zimmer.  1976 zog er dann mit einer Gruppe von „fitten“ Männern, ins Haus Wichernstraße 3, wo er bis heute lebt. Die Männer bewohnten  2-Bett-Zimmer im Erdgeschoss, im 2.Obergeschoss  wohnten zwei Diakone.

Als „mithelfender Pflegling“ hat Hans Auernhammer über Jahrzehnte hinweg dazu beigetragen, die Heime wirtschaftlich über Wasser zu halten, so wie es damals üblich war. Er wurde ausgewählt, um seine Arbeitskraft für den Haushalt des Leitenden Pfarrers Hans Huthmann einzusetzen. Die Huthmanns  wohnten damals im heutigen Elisabeth-Haus an der Dornwegshöhstraße, das inzwischen vom Familien unterstützenden Dienst (FuD) genutzt wird. Der Garten war damals weitaus  größer als der heutige Außenbereich des FuD. Hier hatte Hans Auernhammer gut zu tun: Er grub die Erde um, jätete Unkraut,  pflanzte und erntete das Gemüse in dem großen Versorgungsgarten für die Familie Huthmann. Und er arbeitete auch im zweiten Garten der Familie auf dem Grundstück, wo heute das Haus Wichernstraße 31 steht. Als die Huthmann-Tochter Barbara heiratete, wurde dort ein Bungalow errichtet, später wurde das Haus von der NRD übernommen und umgebaut für die Nutzung von Menschen mit Behinderung.

Dass er für seine Arbeit einen Lohn bekommen hätte, ist Hans  Auernhammer nicht bekannt. Auch in die Rentenversicherung wurde für ihn nichts einbezahlt. Sich darüber Gedanken zu machen, war nicht seine Sache. Denn er war Heimbewohner und  wurde versorgt – und seine jahrzehntelange zuverlässige und  sachkundige Arbeit war die selbstverständliche Gegenleistung für diese Versorgung.

Seit zwölf Jahren bewohnt Hans Auernhammer im Haus Wichernstraße 3 ein Einzelzimmer. Mit Wetterregeln kennt er sich  gut aus und auch mit Geld kann er umgehen. Den monatlichen Barbetrag, etwa 100 Euro, verwaltet er selbst. Im vergangenen Jahr hat er beschlossen, sich seinen ersten eigenen Fernseher – „einen Buntfernseher“ – zu kaufen. Der einzige Sender, den er guckt, ist HR 3, und dort am liebsten Sendungen, bei denen es um die alte Zeit geht, zum Beispiel „Familie Hesselbach“. 

„Ein ganz Akkurater“

„Hans Auernhammer, das war schon immer ein ganz Akkurater“, erinnern sich frühere Mitarbeiter, „in seinem  Wäscheschrank herrscht preußische Ordnung, alles perfekt gefaltet und gestapelt.“ Da war es kein  Wunder, dass ihm auch die Wartung der Turmuhr im Bodelschwingh-Haus anvertraut wurde. Jeden Tag  pünktlich um 18 Uhr stieg Auernhammer auf den Speicher des Männerhauses, erklomm die Treppe zum Uhrenturm und schloss den großen Schrank auf, in dem hinter Glas das Uhrwerk hing. Mit einem Schwunghebel drehte er das Uhrwerk auf, so dass es die nächsten 24 Stunden weiterlaufen konnte. Den Schlüssel zum Uhrenschrank verwahrte Auernhammer persönlich.

Hans Auernhammer vor dem Ziffernblatt
Hans Auernhammer vor dem Ziffernblatt

Man kann sich vorstellen, wie traurig es ihn machte, als beim  Brand des Dachgeschosses im Sommer 1993 auch das Uhrwerk zerstört und durch ein elektrisches ersetzt wurde. Von da an wurde sein pünktlicher Dienst nicht mehr benötigt. Immerhin ist das Zifferblatt der alten Männerhaus-Uhr erhalten geblieben und wurde im Treppenhaus aufgehängt.

Was war denn die schönste Zeit in seinem Leben? „Früher, daheim  in Hanau“, sagt er, der als Kind jeden Samstag mit seiner Mutter nach Frankfurt fahren durfte, um die Wocheneinnahmen auf die Bank zu bringen. Mehrmals im Jahr fährt er heute, begleitet von einem Mitarbeiter, in seine Heimatstadt, um die Gräber seiner Verwandten und seine Nichten und Neffen zu besuchen, die Kinder seiner Geschwister Elfriede und Fritz.

50 Jahre in der NRD, dieses Jubiläum wird Hans Auernhammer im Herbst zusammen mit den anderen Jubilaren in der Lazaruskirche begehen. Darf man einem Menschen dazu gratulieren, dass er seit 50 Jahren in einem Heim lebt? Fraglos darf man  Hans Auernhammer dazu beglückwünschen, wie er sein Leben  in Nieder-Ramstadt gemeistert hat. Hat er einen Wunsch? „Vielleicht  eine Jubiläumsurkunde, wo mein Name draufsteht und wie lange ich schon hier bin.“ 

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