13.04.2018 | Marlene Broeckers
Seit September 2017 ist auf dem NRD-Landwirtschaftsbetrieb „Sonnenhof“ ein Melkroboter im Einsatz. Man darf sich darunter keine menschlich aussehende Blechfigur vorstellen, die ferngesteuert durch den Kuhstall stakst und die Kühe versorgt. Nein, der Melkroboter ist eine automatisierter Melkstand, den die Milchkühe überaus gern aufsuchen, angelockt von leckerem Kraftfutter, welches vom Roboter für jedes Tier exakt bemessen – oder auch verweigert wird.
Rund 65 Milchkühe gibt es derzeit auf dem „Sonnenhof“, außerdem 55 Jungtiere und ein Dutzend sogenannte „Trockensteher“, also Kühe, die kurz vor dem Kalben stehen und in den letzten acht Wochen davor nicht mehr gemolken werden. „Sie stehen quasi unter Mutterschutz“, sagt der Betriebsleiter Steffen Götz. Der 29 Jahre alte Agrarbetriebswirt hat 2015 die Leitung des „Sonnenhofs“ übernommen. Außerdem ist er für die Abteilung Landschaftsbau und die Gärtnerei der Mühltal-Werkstätten zuständig.
Ebenso wie Andreas Koch, dem Leiter der Dieburger- und der Mühltal-Werkstätten der NRD, ist auch Steffen Götz mit der computergesteuerten Melkanlage sehr zufrieden. „Die hohe Investition lohnt sich“, das ist schon nach wenigen Monaten klar. Im Zuge der Neuanschaffung wurden an den Längsseiten des Kuhstalls Anbauten gemacht, um überdachte Einzelboxen für alle Milchkühe zu schaffen. „Das ist hygienischer als der Gemeinschaftsbereich“, erklärt Götz. In der Tat scheinen die Kühe die Einzelboxen zu schätzen. Viele liegen gemütlich auf dicken Strohschichten, die täglich gereinigt werden.
Drängeln vor der Melkanlage
Andere drängen sich im Wartebereich des Stalls gegenseitig weg, um als nächste in die Melkanlage zu gelangen. Erst wenn sich die vordere Drehtür bewegt und die soeben gemolkene Kuh den Stand verlässt, ist durch die hintere Drehtür der Eintritt möglich. Nicht die Reihenfolge in der Warteschlange, sondern die Rangordnung unter den Kühen entscheidet, welche als nächste dran ist – ein kleiner Stupser genügt, um rangniedere Anwärterinnen beiseite zu schieben. Doch auch der Roboter hat ein regulierendes Wörtchen „mitzureden“. Er scannt das kleine Band am Bein der Kuh, um festzustellen, wann sie zuletzt gemolken wurde und wieviel Milch sie aktuell hat. Kommt eine Kuh zu früh, um vom Kraftfutter zu naschen, dann öffnet sich statt des Futternapfs nur die Drehtür in Richtung Stall und sie muss später wiederkommen.
Rund 30 Liter Milch gibt eine gute Milchkuh am Tag. Ein Melkvorgang dauert sechs bis acht Minuten. In dieser Zeit leistet der Roboter so einiges: Er reinigt die Zitzen und legt der Kuh den Melkbecher an. Während des Melkvorgangs darf die Kuh fressen, anschließend desinfiziert der Roboter ihre Zitzen und die Melkbecher, und tschüss. Zugleich analysiert der Roboter die Entwicklung der Milchmenge – eine Grundlage, um wöchentlich die Futterration zu bemessen. Der Roboter signalisiert auch, wann eine Kuh brünstig ist. Dann bestellt der Herdenmanager Wilhelm Beneke den Tierarzt zur Besamung.
Kann man bei so viel Technik von Biomilch sprechen? Das ist zum Teil Ansichtssache. Tierschützer und Veganer halten es nicht für „bio“, wenn beispielsweise die Kälbchen direkt nach der Geburt von der Mutterkuh getrennt werden, wie es auch auf dem „Sonnenhof“ der Fall ist. Doch dies ist nach den Regeln etlicher Bio-Verbände zulässig, so auch beim Naturland-Verband, dem der „Sonnenhof“ angehört. Diese Verbände kontrollieren nicht nur die Qualität der Milch, sondern geben Standards vor für die Haltung und Fütterung der Tiere. Diese müssen genug Platz im Stall und freien Zugang ins Freie haben und mit ausgewogenem Futter versorgt werden.
160 Hektar Ackerland bewirtschaftet der „Sonnenhof“ in Nieder- Ramstadt, Eberstadt und Nieder-Beerbach. Dort werden Kleegras, Hülsenfrüchtler, Getreide und Mais angebaut, und es wächst Gras, um Gärfutter für die Wintermonate herzustellen. Vorgeschrieben ist auch, dass die Kälbchen in der ersten Woche mit der sogenannten „Biestmilch“ gefüttert werden, auch wenn sie diese nicht selbst beim Muttertier saugen dürfen. Die Biestmilch ist die Erstmilch und enthält wie beim Menschen höhere Anteile von Proteinen, Enzymen, Vitaminen, Mineralien, Wachstumsfaktoren, Aminosäuren und Antikörpern als die spätere Milch. Diese Erstmilch stärkt die Immunabwehr der Jungtiere. In den folgenden Wochen bekommt das Kalb dann Vollmilch und Wasser und zunehmend auch Futter.
Schöne Jugend in Mossautal
Die Jungtiere bleiben neun Monate auf dem „Sonnenhof“ und werden dann für etwa zwei Jahre in einen Aufzuchtbetrieb nach Mossautal gebracht. Auch dies ist ein Biohof mit Weidegang im Sommer. Die älteren Rinder werden dort durch „Natursprung“ besamt und etwa vier Wochen vor der Geburt des ersten Kalbs auf den „Sonnenhof“ zurückgebracht. Dort wartet man dann gespannt darauf, wie viele weibliche und männliche Kälber zur Welt kommen.
Natürlich zählen für einen Milchwirtschaftsbetrieb die weiblichen Tiere mehr. Die männlichen Kälber werden fast alle an Mastbetriebe verkauft und nach der Mastperiode geschlachtet. Nur zwei, drei Tiere, die aus Züchtersicht besonders hochwertig sind, werden zurückbehalten, um zu Zuchtbullen ohne Hörner heranzuwachsen. Die Hornansätze werden, zunehmend seltener, unter Betäubung entfernt – dazu bedarf es der Genehmigung durch den Regierungspräsidenten. Diese wird für den “Sonnenhof“ problemlos erteilt, weil spitze Hörner für die Menschen mit Behinderung, die im Stall arbeiten, gefährlich werden können.
9.000 bis 9.500 Liter Milch gibt eine Kuh auf dem „Sonnenhof“ im Jahr, eine sehr gute Bilanz für einen Biobetrieb, wie Steffen Götz sagt. Vom gesamten Jahresertrag, der bei rund 510.000 Litern liegt, werden etwa 205.000 Liter an 30 Kunden verkauft: Hauptabnehmer sind die Küchen von Schulen und Pflegeheimen, die oft auch die Kartoffeln vom „Sonnenhof“ beziehen. Zu den Abnehmern gehören auch eine Käserei und eine Eisdiele. Der größte Anteil der Biomilch, die auf dem „Sonnenhof“ nicht pasteurisiert wird, geht als Rohmilch über die Berliner Milcheinfuhrgesellschaft an verschiedene Milchverarbeitungsbetriebe. Die Milch vom „Sonnenhof“ überhaupt als Biomilch verkaufen zu können und sie nicht zum Preis von konventioneller Erzeugung hergeben zu müssen, war eines der ersten Ziele, die Steffen Götz sich für den NRD-Betrieb gesteckt und erreicht hat.
Mit ihm und seinem siebenköpfigen Team (inklusive Auszubildendem und FSJ’ler) arbeiten auf dem „Sonnenhof“ rund 40 Menschen mit Behinderung zusammen. Etwa ein Dutzend von ihnen ist im Stall mit der Fütterung und Reinigung beschäftigt. Zwei arbeiten im Milchraum, wo nach der Pasteurisierung die Milch in verschieden große Gebinde zwischen einem und 1.000 Liter abgefüllt und etikettiert wird. Alle anderen sind in der Kartoffelverarbeitung tätig. Rund 170 Tonnen Schälkartoffeln – nach Kundenwunsch in Bio-Qualität oder aus konventionellem Anbau – werden dort in den verschiedensten Formen vakuumverpackt und an Gastronomiebetriebe verkauft. Eine wichtige Frage noch: Wird durch den Melkroboter ein Mitarbeiter auf dem „Sonnenhof“ eingespart? „Nein“, sagt Steffen Götz, „wir gewinnen mehr Zeit, die Beschäftigten zu betreuen.“
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