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Die Orbishöhe ist meine Heimat

20.03.2016 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Die Orbishöhe ist meine Heimat

 Die Geschichte der Orbishöhe Zwingenberg begann vor 90 Jahren mit der Eröffnung eines Erholungsheimes für evangelische Mädchen. Ab Mitte der 1950er Jahre war die Förderung von Spätaussiedler-Kindern der Schwerpunkt der Arbeit. Seit 25 Jahren widmet sich die gemeinnützige GMBH, die seit 2006 zur NRD gehört, der pädagogischen Hilfe von Kindern und Jugendlichen. Dazu gehörten von Anfang an auch unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA),   bis 2015 noch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) genannt.

Seare Mekonen aus Eritrea kam 1996 als umF nach Deutschland und landete in Zwingenberg: „Die Orbishöhe ist meine Heimat“, sagt der deutsche Staatsbürger.

Der Vorname von Seare Mekonen bedeutet „Gewinner“. Das passt gut zu dem heute 34-jährigen Mann, der seine Heimat im Nordosten Afrikas mit 16 Jahren verlassen hat – aus genau denselben Gründen, die heute hunderttausende junge Menschen veranlassen, aus Eritrea zu flüchten: „Damals musste jeder mit 15 Jahren in den Sommerferien Dienste für die Regierung leisten“, berichtet Seare Mekonen. Inzwischen ist es so, dass in Eritrea alle Frauen und Männer zwischen 18 und 50 Jahren dem Militär damit dem Staat unbegrenzt zur Verfügung stehen müssen. Der ehemalige Freiheitskämpfer Isayas Afewerki, der Eritrea nach einem dreißigjährigen Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien in die Autonomie führte, ist heute ein gefürchteter Diktator. Der UN-Bericht über Eritrea 2015 spricht von Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und Vergewaltigung. Menschen werden in Erdlöchern, Straflagern oder Schiffscontainern gefangen gehalten.

Die Rückkehr nach Eritrea ist für Seare Mekonen nicht vorstellbar. Er lebt inzwischen länger in Deutschland als zuvor in Afrika. Auf einer eritreischen Hochzeit hat er vor 16 Jahren seine Frau kennengelernt. Auch sie ist aus Eritrea geflüchtet. Die beiden sind verheiratet und haben zwei Kinder, zwei und drei Jahre alt. Die Familie Mekonen lebt in Frankfurt-Sindlingen und bewirtschaftet einen Schrebergarten im Kleingartenverein Höchst. Seare Mekonen ernährt seine Familie mit einem Job, der ihm viel Spaß macht: Er ist als Angestellter der Deutschen Bahn gastronomischer Zugbegleiter auf ICE-Strecken. „Ich mag den Kontakt mit Menschen“, sagt er lachend.

Wiedersehen mit „Papa“

Das Treffen zum Gespräch in der Orbishöhe war für Seare Mekonen mit einem schönen Wiedersehen verbunden. Er traf hier seinen „Papa“ wieder, „den liebsten Menschen auf der ganzen Welt“, nämlich Sven Herbecke. Der Erzieher gehört seit über 20 Jahren zur Orbishöhe und er war als Betreuer für Seare zuständig, als der 16-Jährige 1996 in Deutschland ankam. Drei Jahre lang hat Herbecke den jungen Mann begleitet, bis dieser mit 18 Jahren die Orbishöhe verließ, um selbstständig zu leben. Die beiden sind in Kontakt geblieben und schreiben einander Mails, 2007 haben sie sich zum letzten Mal getroffen.

Deshalb ist die Freude groß. Mekonen erzählt, wie es damals war. Sveni, wie er seinen „Papa“ liebevoll nennt, ergänzt die Schilderungen und lacht zwischendurch in sich hinein: „Genau wie früher, du hast dich nicht verändert, du warst schon immer schnell, und manchmal auch schnell auf 180!“

Das erste Weihnachten in Deutschland
Das erste Weihnachten in Deutschland

Schnell sein passt zu einem, der „Gewinner“ heißt. Seare Mekonen hat sehr schnell Deutsch gelernt und seinen Realschulabschluss gemacht. Auch einen Ausbildungsplatz als Maler und Lackierer hatte er in Bensheim schon gefunden, doch er durfte die Ausbildung nicht antreten. Warum? „Keine Ahnung, so war es. Ich musste weiter kämpfen. Ich habe in Darmstadt dann mein Fachabitur gemacht, und weil ich sehr gut in Mathe war, anschließend Elektrotechnik studiert. Um Geld zu verdienen, habe ich nebenbei bei der Bordgastronomie der Bahn gearbeitet und wurde irgendwann gefragt, ob ich das nicht hauptberuflich machen will. Das wollte ich gerne, denn Elektrotechnik interessierte mich nicht wirklich.“

Zwei Nächte pro Woche verbringt Mekonen beruflich im ICE oder während der Übernachtungspausen in einem Hotel in Hamburg, Wien, Amsterdam oder Basel. Ansonsten ist er für seine Familie da, begleitet seine Frau zum Kinderarzt und nimmt demnächst Urlaub, um den Schrebergarten zu bestellen: „Wir pflanzen Kartoffeln, Gurken und Tomaten, die Kinder können dort im Freien spielen, man hat freundschaftliche Kontakte zu den anderen Pächtern und feiert im Sommer zusammen.“

Ein sicherer Platz

Kochen und andere Haushaltsdinge hat Seare Mekonen in der Orbishöhe gelernt, wo das Haus damals vom Keller bis zum Dachboden für die Unterbringung von 12 UMA genutzt wurde. Elsa aus Eritrea hat Seare damals das Kochen beigebracht („in Eritrea hat ein Mann in der Küche nichts verloren, er räumt nach dem Essen noch nicht mal seinen Teller weg“), er übernahm dann schon bald die Aufgabe, morgens für alle im Haus das Frühstück zu bereiten. Elsa war es auch, die ihn immer besänftigte, wenn er auf die Palme ging: „Wenn etwas ungerecht war, konnte ich mich sehr aufregen“. Sven Herbecke steuert ein Beispiel bei: „Wir hatten beim Kostenträger, dem Jugendamt, Geld für die Anschaffung von zwei Fahrrädern beantragt. Seare bekam 100 D-Mark bewilligt, der andere Klient 200. Das war ärgerlich und gar nicht nachvollziehbar. Wir haben Seare erklärt, dass man in diesem Fall zum Amt gehen und um Aufklärung bitten oder sich beschweren kann. Das passierte dann auch, aber genützt hat es nichts. Der Sachbearbeiter konnte seine Entscheidung nicht begründen, machte sie aber auch nicht rückgängig.“

„Die Betreuer hier waren damals alles für uns“, sagt Seare Mekonen. Mein erstes Gefühl, als ich hier angekommen war: Ein sicherer Platz und ein warmes Herz. Das erste Weihnachtsfest in Deutschland durfte ich bei Sven zuhause mitfeiern. Da werde ich nie vergessen.“

Seit 2011 haben Seare Mekonen und seine Frau deutsche Pässe, und natürlich sind auch beide Kinder deutsche Staatsbürger. Sie wachsen zweisprachig mit Tigrinya und Deutsch auf. Tochter Serafina, die schon im Kindergarten ist, korrigiert gelegentlich die deutsche Aussprache ihrer Mama. Zu seiner Familie in Eritrea hat Seare Mekonen keinen Kontakt mehr. 2007 war er zum letzten Mal dort und hat keinen seiner früheren Freunde wieder getroffen, „sie können geflüchtet sein, im Gefängnis oder tot, das weiß man nicht“.

Seare Mekonen verfolgt die Entwicklung in Eritrea, die alles andere als hoffnungsvoll ist: „Es ist so schade um das schöne Land. Mein Leben ist jetzt hier, für meine Kinder wünsche ich mir eine gute Ausbildung. Und dass sie gesund sind.“

Der Schrebergarten der Familie Mekonen
Der Schrebergarten der Familie Mekonen

NRD Orbishöhe: In vier Landkreisen aktiv

In den Landkreises Darmstadt-Dieburg, Bergstraße, Groß-Gerau und Odenwald betreut die Orbishöhe derzeit 100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, etwa die Hälfte davon in stationären Wohngruppen. Die übrigen wohnen in Notunterkünften und werden ambulant begleitet. Knapp 60 Mitarbeitende sind mit unterschiedlichem Stellumfang in die Arbeit mit UMA eingebunden. Der Bedarf an Betreuungsplätzen für UMA ist weiterhin steigend. Deshalb eröffnet die Orbishöhe im Spätsommer 2016 eine neue Wohngruppe für 12 Personen in Michelstadt.

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