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Eigenes Geld verwalten – das macht selbstbewusst

18.10.2019 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Eigenes Geld verwalten – das macht selbstbewusst

Im Hinblick auf das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist der Wohnbereich Pulvermühlenweg 19 in Nieder-Ramstadt ein Modell-Projekt. Seit 2017 wurden ehemals stationäre Wohnplätze in Betreutes Wohnen (BW) umgewandelt oder dem BW angenähert. Den Anfang machten drei Männer und eine Frau im „Blauen Haus“ in der Pfaffengasse, im Oktober 2018 folgten die Bewohner*innen der Wohngruppe PM 1 im Pulvermühlenweg 19. Elf von insgesamt 18 Personen sind inzwischen in der Lage, ihr eigenes Geld selbst zu verwalten.

"Es war eine große Anstrengung“, sagt Teamleiter Peter Fries, „aber es hat sich gelohnt. Die Menschen haben an Selbstbestimmung gewonnen und sind selbstbewusster geworden. Und wir Mitarbeitenden haben jetzt viel weniger mit Geldverwaltung zu tun.“

Die Menschen in der PM 1 sind kognitiv sehr unterschiedlich ausgestattet, wie Peter Fries sagt. Einige hatten schon länger ein eigenes Girokonto, ein Mann bekommt seinen Werkstattlohn schon seit Jahren aufs eigene Konto überwiesen und bestreitet seine alltäglichen Bedürfnisse von diesem Geld. Das Training, eigenes Geld selbst zu verwalten, fällt daher höchst individuell aus. Einer gibt viel Geld aus, ein anderer wenig. Einer ist am Monatsende pleite, ein anderer spart so viel, dass mehrere tausend Euro auf seinem Konto liegen. Bis zu 5.000 Euro darf das „Schonvermögen“ inzwischen umfassen. Wer mehr besitzt, kann vom Kostenträger herangezogen werden, seinen Wohnplatz mitzufinanzieren.

Die früheren, von der NRD verwalteten Eigengeld-Konten der Klient*innen gibt es im Betreuten Wohnen nicht mehr. Stattdessen hat jede*r inzwischen ein eigenes Konto bei der Bank. Viele haben zwei Konten, wie Peter Fries erklärt: Ein Hauptkonto, auf dem das gesamte Eigengeld liegt, und ein weiteres mit dem Betrag, der pro Monat als „Taschengeld“ sowie für Kleidung und Lebensmittel zur Verfügung steht. Über Letzteres verfügen jetzt die Klient*innen eigenständig – nach oftmals monatelangem Trainig. „Bei mir ging es ganz leicht“, sagt Greta Böttcher*, „meine Betreuerin war ein paar Mal mit mir auf der Bank und dann ging es.“ Sie findet das besser als vorher, als sie sich im Büro das Taschengeld auszahlen lassen musste.

Bezug zum Geld wird konkreter

Jede*r handhabt den Umgang mit dem Eigengeld so, wie er oder sie es will. Manche holen ihr Geld für einen ganzen Monat von der Bank ab, manche gehen lieber wöchentlich. Der eine braucht auf jeden Fall täglich 5 Euro für Zigaretten, der andere spart für ein spezielles Hobby. „Der Bezug zum Geld wird viel konkreter“, sagt Peter Fries, „auch dadurch, dass die Klient*innen durch die Kontoauszüge nachvollziehen können, was sie ausgegeben haben und wieviel unterm Strich noch da ist.“ Ein tolles Erlebnis sei es auch für viele, dass sie mit der Karte bezahlen können und gar kein Bargeld brauchen, wenn sie einkaufen möchten.

Eine Erleichterung beim Abheben von Geld am Bankautomaten oder beim Bezahlen mit Karte ist auch die Tatsache, dass man sich seine PIN selbst aussuchen kann, direkt am Geldautomaten. „Jeder hat irgendwelche Zahlen oder Kombinationen, die er sich gut merken kann, um eine vierstellige PIN zu behalten“, sagt Peter Fries. Einigen, die noch unsicher sind, wurde empfohlen, dass sie möglichst dann auf die Bank gehen, wenn die Schalter besetzt sind. So bekommen sie leicht Hilfe vom Bankpersonal, sogar dann, wenn sie ihre EC-Karte gar nicht dabei haben, sondern nur einen Personalausweis. Selbstverständlich begleiten auch Mitarbeitende die Klient*innen, wenn diese es wünschen. „Bis jetzt ist alles gut gegangen“, sagt Fries, „ein- oder zweimal wurde eine Karte eingezogen, weil jemand mehrmals die falsche PIN eingegeben hat, aber das war wirklich kein Problem. Nieder-Ramstadt ist gewissermaßen ein Schonraum, die NRD’ler sind bekannt und das Umfeld in der Regel sehr hilfsbereit“.

Fries erinnert sich, dass im vergangenen Jahr unter den Bewohner*innen eine gewisse Panik aufkam, als die Umstellung auf Betreutes Wohnen mitgeteilt und erklärt wurde. „Aber die Information, dass in Verbindung damit jede*r auch eine eigene Geldkarte bekommt, hat schlagartig alles geändert“, sagt er schmunzelnd.

Vorher – nachher

Die Essensversorgung funktionierte in der PM 1 schon seit 25 Jahren unabhängig von der Großküche der NRD. Für gemeinsames Kochen am Wochenende oder eine Pizza-Bestellung am Samstag wurde früher aus der Gruppenkasse eingekauft, anschließend wurden die Ausgaben auf alle Beteiligten verteilt und jeweils als Ausgabe auf dem Eigengeldkonto verbucht. Jetzt bringt jeder seinen Anteil in bar mit und es muss nichts mehr gebucht werden.

Ein anderes Beispiel: Besuchte eine Mitarbeiterin früher mit einigen Personen das Heinerfest, nahm sie in der Regel einen größeren Betrag aus der Gruppenkasse mit. Wollten fünf Personen Bratwurst essen, bezahlte die Mitarbeiterin für alle und ließ sich eine Quittung ausstellen. Später öffnete sie im Büro die Excel-Liste „Eigengeld“, gab Namen, Bratwurst und Preis für jeden Beteiligten ein und trug außerdem die Gesamtsumme im Kassenbuch der Wohngruppe ein. Einmal monatlich wanderte die Abrechnung ins Rechnungswesen, wo dann vom Eigengeldkonto der jeweiligen Person der Betrag für eine Bratwurst abgebucht wurde. Viel Arbeit, aber notwendig, um nachweisen zu können, dass die NRD mit dem Geld der Bewohner*innen korrekt umgeht.

Letztere sind durch diese Praxis für die Einrichtung gewissermaßen gläserne Individuen. So zeigt ein früherer Eigengeld- Kontoauszug beispielsweise, dass ein Mann auf dem Heinerfest ein Steak, eine Waffel und eine Bratwurst gegessen sowie einen Kaffee getrunken hat. Diese Durchsichtigkeit hat jetzt ein Ende für die Menschen in der PM 1: Auch wenn sie zusammen mit Mitarbeitenden aufs Heinerfest gehen, müssen sie nicht aus praktischen Gründen gleichzeitig am selben Stand eine Bratwurst essen, sondern jeder hat sein eigenes Geld dabei und kann essen und trinken, wann und was er will, ohne einen Mitarbeitenden zu bemühen.

Wer bitten muss, ist abhängig

„Auch wenn wir versucht haben, den Bewohner*innen nicht das Gefühl von Abhängigkeit zu geben – man ist abhängig, wenn man weiß, dass man jemanden bitten muss, Geld ausbezahlt zu bekommen“, sagt Peter Fries. „Es ist gut, dass das nun anders ist.“

Gleichwohl ist die Wohngruppe PM 1 nicht das, was man klassischerweise unter Betreutem Wohnen versteht. „14 Personen wohnen nach wie vor in einem Haus zusammen und es sind Mitarbeiter*innen anwesend, nicht zuletzt, um die Seniorenbetreuung zu gewährleisten. Durch die Umstellung auf die Rahmenbedingungen des Bundesteilhabegesetztes werden die Klient*innen ja auch nicht zu anderen Menschen.“ Doch die Umstellung zeigt, dass auch Menschen mit Behinderung, die zum Teil seit Jahrzehnten im Heim wohnen, viel Neues dazulernen können, wenn man sie entsprechend unterstützt. Und damit ist ein Stück persönliche Freiheit gewonnen.

Was für die Wohngruppe PM 1 im Pulvermühlenweg 19 in Nieder-Ramstadt seit Oktober 2018 modellhaft durchgeführt wurde, gilt ab Januar 2020 für alle Wohnplätze in der NRD. Auch im bisherigen stationären Bereich ist für die Geldverwaltung nicht mehr automatisch die Einrichtung zuständig, sondern der oder die Bewohner*in selbst bzw. deren gesetzliche Betreuer*in. Letztere können jedoch die NRD beauftragen, die Verwaltung zu übernehmen, wenn sie das möchten.

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  • Inklusion...

    ...bedeutet für mich, dass man alle Menschen wieder mehr zusammenführt. Wenn alle aufmerksam und hilfsbereit miteinander umgehen, dann geht es allen auch seelisch besser. 

    Inklusion...
    Virginia Dindore
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