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Sehr entspannt im neuen Wohnhaus

17.06.2019 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Sehr entspannt im neuen Wohnhaus

Mit buntem Händedruck auf die Tapete im Flur haben sich Bewohner*innen und Mitarbeitende der „Boh 3“ am 1. Oktober vom Haus Bodelschwingh auf dem Zentralgelände der NRD in Mühltal verabschiedet. Sie waren die letzte Wohngruppe im früheren Männerhaus der Heime, das fast auf den Tag genau 100 zuvor am 30. September 1909 eingeweiht worden war und haben geduldig auf den Umzug zum „Sonnenhof“ gewartet. Marlene Broeckers hat einen Besuch gemacht und nachgefragt, wie es geht.

„Sehr gut, von der ersten Nacht an“, sagt Teamleiterin Martina Wendel, „alle fühlen sich wohl und sind entspannt, es gab noch keine einzige Krise“. Das will etwas heißen, denn die acht Menschen der ehemaligen „Boh 3“ sind eine sogenannte Intensivgruppe: Menschen mit sehr eigenen Verhaltensweisen, die – mit einer Ausnahme – nicht verbal kommunizieren. Deshalb müssen sie durch ihr Verhalten und durch Laute zeigen, wie es ihnen geht.

Nieder-Beerbacher-Straße 35 ist die neue Adresse der Wohngruppe. Das neue Haus – ein langer, holzverkleideter Flachbau mit vier Apartments – liegt oberhalb des Landwirtschaftsbetriebs „Sonnenhof“. Durch die kahlen Bäume blickt man über das Dach des Kuhstalls hinweg nach Nieder-Ramstadt hinunter. Im Haus ist es um diese Zeit, 10 Uhr vormittags, sehr still, denn die meisten Klient*innen sind in der Tagesstätte. Nur zwei – Caroline und David* – sind zu Hause, sie werden zurzeit von der Tagesstätte aufsuchend betreut. Dies ist ein Angebot für Menschen, die in der größeren Gruppe der Tagesstätte nicht klarkommen.

Caroline sitzt im Gemeinschaftsraum des Vierer-Apartments, mit Pia Davo am Tisch. Die Erzieherin verbringt montags bis freitags täglich zwei Stunden mit Caroline. Heute ist zusätzlich eine Hospitantin dabei, die demnächst in der Tagesstätte anfängt. Die Damen trinken Kaffee und hören Weihnachtslieder. „Für Caroline hat sich in letzter Zeit viel verändert“, erklärt Pia Davo, „da geben die vertrauten Lieder ihr ein schönes Gefühl“.

Offene Türen, schützender Zaun

Der lange, rechteckige Raum ist mit soliden, modernen Möbeln sparsam eingerichtet. Dinge, die man umherwerfen könnte, kann man hier nicht gebrauchen. Einige Bilder mit Naturmotiven hängen an den Wänden – bedruckte Stoffe, auf Holzrahmen gespannt. Von der überdachten Eingangstür kann man durch die Glaswand am anderen Ende des Raums direkt in den Garten schauen. Zu beiden Seiten kann Caroline auch alleine hinausgehen, denn Haus und Gelände sind eingezäunt, damit niemand wegläuft und sich verirrt. Auch aus Carolines Zimmer führt eine Glastür direkt in den Garten und ihr Blick aus dem Fenster fällt direkt auf den großen Hasenstall, der ebenfalls aus dem Bodelschwingh-Haus mit umgezogen ist. Seit 2017 leben die vier Hasen in ihrer geräumigen Unterkunft mit den Menschen der „Boh 3“, werden von ihnen versorgt und gefüttert.

Auch die vier Hasen der Wohngruppe sind mit umgezogen.
Auch die vier Hasen der Wohngruppe sind mit umgezogen.

Caroline liebt es, die Tiere zu füttern und in der warmen Jahreszeit draußen auch Löwenzahn für die Tiere zu sammeln. Die Hasen sind ein fester Programmpunkt, wenn Pia Davo bei Caroline ist. Wenn Tiere und Stall versorgt sind, laufen die beiden runter zum „Sonnenhof“ und holen frische Biomilch für die Wohngemeinschaft. Und anschließend holen sie aus der benachbarten „Sonnenhof“-Kantine noch das bestellte Mittagessen für Caroline und David. Letzterer geht zurzeit ebenfalls nicht in die Tagesstätte. An vier Tagen die Woche kommt Pia Davo für zwei Stunden zu David, den Rest der Zeit verbringt er alleine in dem Zweier-Apartment, das er sich mit Lino* teilt. Weil die beiden gerne chillen, ist ein großes, gemütliches Sofa das wichtigste Möbelstück in ihrem Wohnzimmer. 

Was alle Bewohner*innen verbindet, ist ihre Vorliebe für die Natur. Deswegen ist das Haus am „Sonnenhof“ inmitten von Wald und Feldern der richtige Ort für sie. Und das Wohnen allein oder maximal zu viert bekommt allen gut. Alle sind gern für sich und wissen, wo sie die Mitarbeitenden finden, wenn sie sie brauchen: Einfach rausgehen und ins Nachbarapartment reingucken. Alle Türen sind offen, immer ist jemand da, auch nachts.

Umzug lange vorbereitet

Dass der Umzug und die Eingewöhnung so gut geklappt haben, dafür haben Martina Wendel und ihr Team viel getan. „Wir haben im Frühjahr 2018 schon angefangen, die Wintersachen der einzelnen Leute einzupacken“, berichtet Wendel. „Wir haben immer wieder erklärt, warum das geschieht und waren auch oft auf der Baustelle. Wir haben alle denkbaren Krisen aufgelistet und uns überlegt, was wir dann tun können. Aber es ist überhaupt nichts passiert.“

Der „Safe space“ ein großes Sicherheitszelt, das 2016 für Caroline angeschafft wurde, steht heute in ihrem Zimmer, aber sie benutzt ihn kaum. Und das Kayserbett, ein rundum geschlossenes Käfigbett, in dem Lino* seit Jahrzehnten schlief, ist seit dem Umzug Geschichte. Es klingt wie ein Wunder. „Es hieß, dass wir das Bett aus Brandschutz-Gründen nicht mitnehmen können“, so Martina Wendel, „denn hier wohnen die Leute in vier getrennten Apartments, während vorher alle auf einem großen L-förmigen Flur zusammen waren. So haben wir beschlossen, für Lino ein ganz normales Bett zu kaufen und notfalls die richterliche Erlaubnis einzuholen, ihn nachts in seinem Zimmer einzuschließen.“

Alle waren natürlich gespannt, wie Lino in der ersten Nacht im neuen Bett reagieren würde. Er legte sich hin und schlief ein, als hätte er nie etwas anderes getan. So ist es geblieben. Dieses erstaunliche Beispiel zeigt, welche Verhaltensänderungen möglich sind, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Dass alle Bewohner*innen sehr viel entspannter und ruhiger sind, liegt ohne Zweifel an den getrennten Apartments. Vorher, in der großen Gemeinschaftsunterkunft, bekamen alles es mit, wenn jemand laut wurde. Und meistens übertrug sich die Unruhe eines Einzelnen auf die anderen.

Damit ist jetzt Schluss. Man kann in der eigenen Wohnung frühstücken und zu Abend essen. Auch am Wochenende, wenn gekocht wird, nehmen die Bewohner*innen das Essen im eigenen Apartment ein. Sie können Gesellschaft finden, wenn sie dies wünschen, und sich zurückziehen, wenn sie es brauchen. Dies entspricht genau der Erwartung und Hoffnung, die die Mitarbeitenden mit dem Umzug verbanden. Dass es noch besser klappt als erwartet, ist für alle eine große Freude. „Jetzt freuen wir uns alle auf den Sommer“, sagt Martina Wendel, „alle werden es genießen, hier draußen zu sein.“

Ein Wunsch des siebenköpfigen Teams um Martina Wendel ist es, weitere Tiere in der Nähe des neuen Wohnhauses zu haben. Vom Umgang mit Tieren könnten nicht nur die Bewohner der Nieder- Beerbacher-Straße 35 profitieren. Caroline hat 2017 im Hasenstall die ersten drei Worte („Schau mal her!“) gesprochen. „Schafe wären schön, Esel wären sehr gut“, sagt Martina Wendel.

*Die Namen wurden geändert.

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