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Reinheim-Ueberau: Passende Wohnverhältnisse, mehr Ruhe und mehr Wege

03.07.2017 | Marlene Broeckers

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Marlene Broeckers

Texterin der NRD

Reinheim-Ueberau: Passende Wohnverhältnisse, mehr Ruhe und mehr Wege

„Intensiv statt nur dabei“, das ist ein Arbeitsmotto für die 30 KollegInnen in Reinheim-Ueberau, die in der sanierten und zum Teil neu gebauten Hofreite mitten im Ort 16 Menschen mit besonderem Verhalten begleiten. „Wir wollen mehr als einfach!“ heißt ein zweites Motto, dass die Mitarbeitenden sich überlegt haben. Manche tragen die Slogans in pink oder hellgrün aufgedruckt auf ihrem Pulli. Die Wohngemeinschaft, die im August 2016 endlich nach Ueberau umziehen konnte, ist eine sogenannte Intensivgruppe. „Intensiv“ bezieht sich auf die Haltung der Mitarbeitenden. Nur dabei zu sein, reicht nicht. Denn die BewohnerInnen zeigen ihre Wünsche und Bedürfnisse vor allem durch Verhaltensäußerungen. Diese richtig zu deuten und angemessen zu reagieren – darauf kommt es an, damit es allen möglichst gut geht. Das ist intensive Arbeit.

Die Straßenfront der Hofreite
Die Straßenfront der Hofreite

Am Vormittag des 11. Mai geht es offensichtlich allen gut, die da sind. Achim Berger geht zusammen mit Jutta Bereiter über den Hof in die Waschküche. Er hat seine saubere Wäsche dort abgeholt und in seine Wohnung gebracht. Nun trägt er den Wäschekorb zurück an seinen mit Namen gekennzeichneten Platz im Regal. Diese Arbeit ist getan, nun holt sich Achim Berger in der Seitenscheune nebenan das Kettcar und fährt rückwärts hinaus auf den Hof. Hier ist genug Platz, um herumzufahren. Und es macht ihm gerade besonderen Spaß, weil drei Mitarbeiterinnen und zwei Gäste mitten im Hof am Tisch sitzen und sich unterhalten. Vertraute Menschen in Sichtweite, die ihn in Ruhe lassen - das sind gute Voraussetzungen, damit er sich wohlfühlt.

Teamleiterin Rebecca Schmötzer macht eine kurze Führung durch die beiden Wohnhäuser, die an der Stelle der früheren großen Scheune gebaut wurden. Optisch bilden sie eine Einheit, faktisch ist es ein Doppelhaus, von innen nur durch Brandschutztüren verbunden.

Individuelle Ausrichtung

Von den 17 Wohnplätzen sind 16 besetzt. Je acht Personen wohnen in jedem Haus. In eigenen Wohnungen alleine, zu zweit, zu dritt oder viert. „Es war eine verzwickte Puzzlearbeit, die richtigen Konstellationen hinzubekommen“, sagt Rebecca Schmötzer. Ziel war, dass die Wohngenossen zusammen passen und sich mögen. Die Einrichtung der Wohnungen ist modern, geschmackvoll und relativ schlicht. Kein Nippes steht herum, kaum Bilder hängen an der Wand, nicht in allen Wohnungen gibt es einen Fernseher. Jede Wohnung ist anders gestaltet, auf die Personen individuell abgestimmt. Dekoration ist nicht für jeden was, noch nicht mal Toilettenpapier, deshalb sind bestimmte Reize und Gegenstände in manchen Wohnungen nicht vorhanden. Sie würden zweckentfremdet benutzt, zum Beispiel herumgeworfen werden. Das Gute dabei ist: es müssen nicht mehr alle Mitbewohner in Kauf nehmen, dass Toilettenpapier weggeschlossen wird, weil einer nicht damit umgehen kann. Das betrifft dann nur die beiden, die sich das Bad teilen. Alle Küchen haben bodentiefe Glastüren, die nur aufgeschlossen werden, wenn gekocht und gegessen wird.
„Die Glastüren und der Tisch in der Küche sind eine große Verbesserung“, erklärt Rebecca Schmötzer. Vorher im Haus Magdala auf dem ehemaligen Zentralgeländer der NRD gab es nur eine schmale Küche ohne Sitzgelegenheit. Wenn die Mitarbeitenden kochten, mussten sie meist das hölzerne Gitter zum Flur schließen, um ungestört das Essen zubereiten zu können. Jetzt können einige in der Küche dabei sein, andere vom Tisch im Wohnzimmer aus zuschauen, was in der Küche passiert.

Der Innenhof zum Neubau hin
Der Innenhof zum Neubau hin

Der große Innenhof mit dem verschlossenen Tor zur Straße hin ist ein geschützter Aufenthaltsort im Freien. Außerdem gibt es einen großen Garten hinter dem Haus, der nur von einem niedrigen Zaun umgeben ist, der Kontakt zum Spazierweg an der Gersprenz ermöglicht. Einige Bewohner, die beispielsweise über den Zaun klettern würden, können nur in Begleitung in den Garten. Ein interessanter Ort ist auch das Obergeschoss des Seitenflügels, ein Dachboden mit offenem Fachwerk als Fenster. Hier kann man sich überdacht quasi im Freien aufhalten, was zurzeit vor allem die Schwalben tun.

30 Team-Mitglieder – und alle müssen informiert sein

Gegenüber dem Seitenflügel, im ehemaligen Wohnhaus, das unter Denkmalschutzauflagen saniert wurde, gibt es im Erdgeschoss einen Raum für Tagesangebote, im Obergeschoss zwei Büros und einen Besprechungsraum für das Team. Wenn alle 30 Team-Mitglieder zusammenkämen, was praktisch nie der Fall ist, wäre der Raum viel zu klein. Selbst für 20 Personen reicht der Platz nicht aus. „Es ist eine echte Herausforderung, die Kommunikation in einem so großen Team sicherzustellen“, sagt Rebecca Schmötzer. Da ist eine gute Dokumentation unerlässlich. Und auch die Tafel im Büro, an der die wichtigsten aktuellen Informationen pro BewohnerIn angeschrieben werden.

Die 16 HausbewohnerInnen – nur drei von ihnen sind Frauen – sind zwischen Mitte 20 und 65 Jahre alt. Zwei von ihnen sind Rentner, acht fahren werktags nach Mühltal in die Tagesstätte und die Werkstatt, vier werden zuhause begleitet.

Ein Segen: Aufsuchende Ärzte

Die wichtigsten Außenkontakte betreffen bislang das Einkaufen und die Ärzte. Robert Stirle geht gerne mit in die Bäckerei Friedrich. „Dort sind wir schon gut bekannt und gern gesehen“, berichtet Monika Stauder-Winter, „die Mitarbeiterinnen dort kennen die Namen unserer Bewohner, auch ihre Vorlieben für Süßes oder Salziges und schenken ihnen manchmal ein Gebäck“. Besuche in Arztpraxen sind für fast alle im Haus „wie ein rotes Tuch“, sagt Deborah Schmid. Das Team ist froh, dass der Hausarzt aus Reinheim in akuten Fällen auch Hausbesuche macht. Das tut inzwischen auch ein Neurologe aus Groß-Umstadt, für viele BewohnerInnen ein wichtiger Facharzt. Und ganz großes Glück haben die Ueberauer mit dem schwierigen Thema Zahnarzt. Eine Gemeinschaftspraxis aus Frankfurt – Dr. Michael Stepke & Kollegen - hat sich von sich aus gemeldet und eine aufsuchende Betreuung angeboten. Die Praxis ist darauf spezialisiert, Menschen in Einrichtungen zu besuchen und dort zu behandeln. Zahnkontrollen und Kleinigkeiten, die keine Betäubung brauchen, können im Haus gemacht werden. Nur für größere Sachen, die bei allen eine Vollnarkose erfordern, müssen die PatientInnen dann in die Frankfurter Praxis kommen.

Überwiegend Einzelbetreuung

„Die BewohnerInnen haben hier viel mehr Ruhe, viel Rückzugsraum und wir dafür viel mehr Wege“, fasst Rebecca Schmötzer einen wesentlichen Unterschied zur früheren Wohnsituation zusammen. Die aufsuchende Betreuung, die meist auch Einzelbetreuung ist, führt die Mitarbeitenden von einer Wohnung in die andere, von einem Haus ins andere, über den Hof ins Büro, in die Waschküche und wieder zurück. 9274, Schritte so hat Yasmin Meyer gemessen, läuft man in einem langen Frühdienst. „Wo alles auf einem Flur war, hörte man auch, wenn die Waschmaschine fertig war. Das ist jetzt anders. Gute Arbeitsorganisation ist nun noch wichtiger geworden.“

Doch niemand vermisst die alten Verhältnisse. Die acht Personen, die werktags nach Mühltal zur Arbeit gebracht werden, genießen die Fahrt als eine Bereicherung. Und die Mitarbeitenden schätzen es, in der schönen Hofreite, in der viele von ihnen am liebsten selbst wohnen würden, zu arbeiten. Eine Fachkraft-Stelle ist leider noch unbesetzt. Deshalb muss die geplante Freizeit zum Harley-Davidson-Treffen am Edersee für dieses Jahr leider gestrichen werden. Es wird stattdessen nur einen Tagesausflug geben.

Drei von insgesamt 30 Kolleginnen des Ueberau-Teams: (von links) Jutta Bereiter, Teamleiterin Rebecca Schmötzer und Deborah Schmid
Drei von insgesamt 30 Kolleginnen des Ueberau-Teams: (von links) Jutta Bereiter, Teamleiterin Rebecca Schmötzer und Deborah Schmid

Das Foto im Titel zeigt Robert Stirle und Bäckermeisterin Christel Friedrich in ihrer Bäckerei in Ueberau. Jeden Mittwochnachmittag geht Robert Stirle, einer der 16 Neubürger der Hofreite, in Begleitung dorthin zum Einkaufen.

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