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Zwischen Schutz und Autonomie

19.12.2023 | Katrin Baginski

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Katrin Baginski

Katrin Baginski arbeitet als Pressereferentin und Texterin für die NRD.

Zwischen Schutz und Autonomie

2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“. Seitdem gibt es eine große Debatte und Forderungen nach einer klaren gesetzlichen Regelung. Diakonie und Kirche haben bereits Orientierungshilfen veröffentlicht. Auch die NRD arbeitet an einer Positionierung und veranstaltete dazu einen Fachtag.

Tod und Sterben sind immer noch Tabuthemen. Organisierte Sterbehilfe durch Dritte war in Deutschland viele Jahre lang strafbar. 2020 hat das Verfassungsgericht diese Regelung aufgehoben, weil es darin eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte sah. Begründung: Jeder Mensch soll frei über sein Leben entscheiden können. Dazu gehöre auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod (Suizid) und dabei auch die Hilfe durch Dritte zu nutzen. Im Sommer dieses Jahres wurden verschiedene Gesetzesentwürfe vorgelegt, eine Einigung gab es bisher nicht. Deutlich wurde vielmehr die hohe Komplexität des Themas und die Notwendigkeit einer offenen Diskussion mit allen Beteiligten.

Die Gerichtsentscheidung warf viele Fragen auf: Wann ist Sterbehilfe (sogenannter „assistierter Suizid“) wirklich angebracht? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um eigenverantwortlich über das
Lebensende entscheiden zu können? Was bedeutet dies für Menschen mit Beeinträchtigungen oder eingeschränkter Urteilsfähigkeit? Was bedeutet assistierter Suizid mit Blick auf die „Euthanasie-Verbrechen“ im Nationalsozialismus?

Als diakonisches Unternehmen ist die NRD in vielfältiger Weise von dieser Thematik betroffen. Das christliche Werteverständnis dient als Leitbild und Grundlage in der Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf. „Der assistierte Suizid berührt Fragen der Selbstbestimmung, der Würde und des
Schutzauftrages sowie des Arbeitsrechts“, macht Dr. Thorsten Hinz, Pädagogischer Vorstand der NRD, deutlich. Für eine NRD-interne Regelung ist es daher wichtig, die Ansprüche und Sichtweisen der verschiedenen Beteiligten zu kennen. Diesem Ziel diente auch der NRD-Fachtag „Assistierter Suizid“ in Wörrstadt. Rund 100 Teilnehmer*innen fanden sich im Tagungshaus der „Juwitality“ zusammen. Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen hatten sich angemeldet. Außerdem Klient*innen und Mitglieder des Angehörigen- und Betreuerrats sowie Vertreter des NRD-Stiftungsrats und rund 20 Gäste von externen Institutionen. Arno Allmann, Theologe und Vorsitzender des NRD-Stiftungsrats, eröffnete den Fachtag. Sein Wunsch: Im Diskurs einen richtungsweisenden Weg für die Zukunft zu finden. „Wir wollen mit Ihnen ins Gespräch kommen und Ihre Position kennenlernen“, lud Dr. Thorsten Hinz die Teilnehmenden zum aktiven Austausch ein.

"Selbstbestimmung und Schutz sind Werte, die ausbalanciert werden müssen."

Die NRD-Steuerungsgruppe „Diakonisches Profil, Theologie und Ethik“ hatte im Vorfeld eine Stellungnahme erarbeitet, aus der ein erstes Positionspapier als Diskussionsgrundlage für den Fachtag entwickelt wurde. Für fachlichen Input sorgten auch zwei Fachvorträge, die simultan in Leichte Sprache übersetzt wurden. Pfarrer Dr. Sigurd Rink, persönlicher Referent des amtierenden Präsidenten der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, erläuterte die Position der Diakonie und der evangelischen Kirche. Er machte deutlich, dass der Schutz des Lebens an erster Stelle stehen müsse – ein zentraler Punkt, der in den bisherigen Gesetzesentwürfen fehle. Leben sei ein Geschenk und von Gott gewollt und müsse auch
in Krisen und Krankheit bejaht werden. Zentrale Aufgabe sei daher die Stärkung der Suizidprävention. Diese brauche aber Ressourcen und müsse finanzierbar sein.

Wilfried Gaul-Canjè, Vorstand des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V., legte die Sicht der Caritas und der katholischen Kirche dar. Auch er wies auf das Spannungsfeld zwischen Schutz bzw. Fürsorge und Freiheit hin. Das eine könne schnell zur Bevormundung werden, das andere zur Vernachlässigung führen. Dies sei ein schwieriger Spagat für Menschen, die andere im Alltag unterstützen. Beide Referenten wünschen sich eine offene, interdisziplinäre Diskussion, die den Austausch mit Ärzten, Therapeuten, Pflegenden und Betroffenen einschließt.

Führten durch einen spannenden Fachtag: v. l. Pfr. Dr. Sigurd Rink (Diakonie  Deutschland), Beate Braner-Möhl, Dr. Thorsten Hinz (NRD), Wilfried Gaul-Canjè (Caritas).
Führten durch einen spannenden Fachtag: v. l. Pfr. Dr. Sigurd Rink (Diakonie Deutschland), Beate Braner-Möhl, Dr. Thorsten Hinz (NRD), Wilfried Gaul-Canjè (Caritas).

In fünf Arbeitsgruppen wurden anschließend Standpunkte und Fragen diskutiert und am Ende des Fachtages präsentiert. Die Ergebnisse werden in die Endfassung des NRD-Positionspapiers einfließen. Viele persönliche Erfahrungen mit den Themen Tod und Sterben wurden an diesem Tag ausgetauscht.
Das vorläufige Positionspapier fand bei den Teilnehmenden breite Zustimmung. Einig war man sich auch, dass es einer zentralen Stelle innerhalb der NRD bedarf, die als Ansprechperson zur Verfügung steht. Auch Fortbildungen wurden von vielen Seiten gewünscht.

Mit der Steuerungsgruppe „Diakonisches Profil, Theologie und Ethik“ verfügt die NRD bereits über ein fachliches Gremium. Die Gruppe besteht aus Vertreter*innen aller Geschäftsbereiche und wird von Beate Braner-Möhl, Stabsstelle Theologie, Seelsorge und Krisenberatung, geleitet. Fest etabliert ist auch das Instrument der ethischen Gesprächsrunde. Zur Begleitung von Klient*innen in der letzten Lebensphase steht ein umfassendes Beratungskonzept zur Verfügung. Seit 2022 gibt es zudem das inklusive Kursangebot „Das Leben bis zuletzt gestalten“. Das Positionspapier der NRD zum assistierten Suizid wird in den nächsten Wochen veröffentlicht und auch in Leichter Sprache zur Verfügung stehen.

90 % der vollendeten Suizide in Deutschland werden von Menschen mit psychischen Erkrankungen begangen. Dabei spielen Einsamkeit und Depressionen eine große Rolle. Dies zeigen auch Erfahrungen aus den Nachbarländern Schweiz und Holland. Verlässliche Studien zu Suiziden bei Menschen mit Behinderungen liegen bislang nicht vor.

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